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„Alleine hätte ich es in der Situation nicht geschafft“


CMS Stiftung News · 8. März 2023

13 Prozent aller erwerbstätigen Frauen wurden schon Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz – doch nur ein Prozent beschreitet den Rechtsweg. Mit ihrer Hilfe für den Frauenhorizonte e.V. sorgt die CMS Stiftung für gleichberechtigten Zugang zum Recht.

 

Irgendwann wurde es Sandra* zu viel. Sie ging zu ihrer Chefin und erzählte ihr von ihrem Kollegen, einem jungen Mann, etwa zwanzig Jahre jünger als sie. Erzählte, wie er ihr immer wieder zu nahe gekommen war, sie bedrängt und berührt hatte. Sie wollte das nicht.

Sie solle sich nicht so anstellen, sagte die Chefin.

 

Kurze Zeit später kamen zu den Berührungen auch verbale Belästigungen hinzu, einmal drückte der junge Mann sie mit seinem ganzen Körper in eine Ecke und sie musste all ihre Kraft aufbringen, um ihn wegzustoßen. Als er sie auch vor Kund:innen anfasste, sagte sie ihrer Chefin, dass ihr schlecht sei, und ging hinaus. Sie setzte sich in ihr Auto, weinte, wusste nicht weiter. Als sie 13 war, vor über dreißig Jahren also, war Sandra vergewaltigt worden. Jetzt fühlte sie sich wieder wie damals, wie ein hilfloses Kind.

 

Frauenhorizonte und CMS Stiftung helfen Frauen, sich selbst zu helfen

Sandra fand im Internet eine Notfallnummer für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Im Gespräch wurde ihr klar, dass sie nichts falsch gemacht hatte. Außerdem bekam sie den Kontakt zu der Organisation Frauenhorizonte, einer Fachberatungsstelle, die seit über dreißig Jahren Frauen begleitet und berät, die Erfahrungen mit sexueller Belästigung, versuchter Vergewaltigung oder Vergewaltigung gemacht haben. Sandra konnte noch am selben Tag über ihre Erlebnisse sprechen – und einen Termin vereinbaren. „Frauenhorizonte war in dem Moment, in dem ich mit mir und der Situation komplett überfordert war, einfach da“, sagt sie. „Alleine hätte ich es in der Situation nicht geschafft, es hat mir so viel Halt und Unterstützung gegeben.“

 

Um Frauen, die wie Sandra sexualisierte Grenzverletzungen am Arbeitsplatz erlebt haben, dabei zu unterstützen, ihr Schweigen zu brechen und ihnen eine Rechtsberatung zu ermöglichen, unterstützt die CMS Stiftung den Verein Frauenhorizonte. Darüber hinaus fördert sie bundesweit rund 15 Beratungsstellen und Organisationen, die es Frauen einfacher machen, sich gegen alle Formen der Gewalt, sei es sexuelle oder häusliche Gewalt, Stalking oder Hass im Netz, rechtlich zur Wehr zu setzen. Damit leistet die CMS Stiftung ihren Beitrag zur Umsetzung des UN-Nachhaltigkeitsziels 5: Geschlechtergleichheit. Dessen Ziel ist es u.a., dass alle Formen von Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen beendet und entsprechende Rechtsvorschriften verabschiedet und durchgesetzt werden sowie der Zugang zum Recht für Betroffene von Gewalt und Diskriminierung zu gewährleistet wird. „Eine nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn wir sämtliche Formen geschlechtsspezifischer Gewalt im öffentlichen und privaten Leben beseitigen“, sagt Gerlind Wisskirchen, ehrenamtliche Geschäftsführerin und Mitinitiatorin der CMS Stiftung.

 

Schuldgefühle und Angst vor Job-Verlust

Denn klar ist: Sandras Erfahrungen sind bei weitem kein Einzelfall. Allein beim Frauenhorizonte e.V. hat sich die Anzahl der Frauen, die sich zum ersten Mal bei der Organisation melden, seit 2015 mehr als verdoppelt. Im Schnitt meldet sich bei der Beratungsstelle aus Freiburg fast jeden Tag eine Frau auf der Suche nach Unterstützung. Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2018 zeigt, dass 13 Prozent aller erwerbstätigen Frauen bereits von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen waren. Doch nur 4 Prozent der Betroffenen suchen sich danach professionelle Hilfe und nur eine von hundert beschreitet auch den Rechtsweg.

„Sexuelle Belästigung gilt nicht als schwere Straftat, deswegen bekommen Betroffene nicht automatisch eine juristische Unterstützung beigeordnet“, erklärt Claudia Winker, Leiterin des Frauenhorizonte e.V. Die Betroffenen müssten also entscheiden, ob sie das Risiko eingehen, die Kosten für ein erstes Beratungsgespräch selbst zu tragen. Zudem quälen sie Schuld- und Schamgefühle und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Für viele eine unüberwindliche Hürde. Denn: „Die Statistiken zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zeigen: Es sind vor allem vulnerable Frauen betroffen. Frauen aus dem Niedriglohnsektor, die u.U. einen Migrationshintergrund haben, gerade in der Ausbildung oder neu im Betrieb sind.“

 

Unternehmen in der Pflicht

Genau aus diesem Grund sei der CMS Stiftung die Geschlechtergleichheit ein Anliegen, meint Gerlind Wisskirchen. Auch aus ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als Arbeitsrechtlerin und Partnerin bei der Wirtschaftssozietät CMS kennt sie die Auswirkungen, die fehlende Geschlechtergerechtigkeit auf die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen haben kann. „Um Frauen vor (sexualisiertem) Machtmissbrauch zu schützen, braucht es auch strukturelle Veränderungen, um die Position von Frauen als Arbeitnehmerinnen zu stärken und sie weniger vulnerabel zu machen“, sagt sie und nennt Themen wie den Gender Pay Gap oder das für Frauen karrierefeindliche Ehegattensplitting als Beispiele.

 

Die rechtlichen Grundlagen seien zwar bereits geschärft worden: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 verbietet jegliche Form von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und seit 2016 ist sexuelle Belästigung (i.V.m. einer Berührung) zusätzlich ein Straftatbestand und kann zur Anzeige gebracht werden. Wisskirchen sieht jedoch auch die Unternehmen in der Pflicht, Veränderungen anzustoßen: „Unternehmen müssten deutlicher machen, dass Anzüglichkeiten nicht geduldet werden, dass jegliche sexuelle Belästigung Konsequenzen hat“, sagt sie. Dafür sei es wichtig, Unternehmen über verpflichtende Schulungen und Weiterbildungen stärker für das Thema zu sensibilisieren, präventiv zu arbeiten und deutlich gekennzeichnete Anlaufstellen für Betroffene einzurichten. „Frauen sollten jederzeit in der Lage sein, Fälle von sexueller Belästigung offen anzusprechen, ohne sich dabei unwohl zu fühlen.“

 

Mut zur Gegenwehr durch rechtliche Unterstützung

Sandra hat es anders erlebt. Dennoch ist sie letztlich den Schritt gegangen und hat sich Hilfe geholt. Durch die Rechtsberatung ihres Anwalts, den sie dank der Unterstützung der CMS Stiftung kostenlos konsultieren konnte, hat sie verstanden, dass ihr Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht hat. Sandra entschied, dass sie nicht weiter in dem Betrieb arbeiten kann. Auch bei der Formulierung ihrer Kündigung half ihr der Anwalt. „Ohne diese Unterstützung hätte ich mich, so wie ich mich kenne, nicht gegen meinen Arbeitgeber gewehrt. Es hat mich sehr gestärkt und dabei geholfen, wieder Fuß zu fassen“, sagt Sandra. Mittlerweile arbeitet sie wieder – in einem kleineren Betrieb.

 

*Sandra möchte nur mit ihrem Vornamen in diesem Artikel erscheinen und auch ihren damaligen Arbeitgeber nicht nennen. Das berücksichtigen wir selbstverständlich.


Pressekontakt

Stefanie Wismeth

 

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