„Zugang zum Recht ist für Geflüchtete lebensentscheidend“
CMS Stiftung News · 19. Oktober 2023
Seit ihrer Gründung unterstützt die CMS Stiftung studentische Rechtsberatungen – so genannte Law Clinics. Zu ihrem achten Geburtstag lud die Stiftung in der vergangenen Woche Vertreter:innen der beiden Law Clinic-Dachverbände sowie zahlreiche Gäste zum persönlichen Austausch nach Hamburg. Erster Teil: das Treffen mit den Refugee Law Clinics.
Langjährige Erfahrung traf junges Engagement: Mehr als ein Dutzend Expert:innen kamen in der vergangenen Woche in einem hellen Konferenzraum im Hamburger Büro von CMS Deutschland zusammen, um über Potenziale, Chancen und Herausforderungen studentischer Rechtsberatungen für Geflüchtete zu diskutieren. Am Tisch: Vorstand und Ehrenamtliche des Refugee Law Clinics Deutschland e.V., dessen Berater:innen – zumeist Studierende der Rechtswissenschaften – deutschlandweit Migrant:innen kostenlos über ihre Rechte und Möglichkeiten informieren. Dazu von der Stiftung weitere Partner:innen eingeladen: Vertreter:innen der UNO Flüchtlingshilfe sowie des gemeinnützigen Sozialunternehmens ProjectTogether, das daran glaubt, dass sich die großen Herausforderungen unserer Zeit nur durch einen großen Schulterschluss lösen lassen – und deshalb Initiativen mit klugen Lösungsansätzen wie diejenigen der Refugee Law Clinics mit Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vernetzt.
Gleicher Zugang zu Recht und Justiz zahlt ein auf das Ziel 16 der 17 Sustainable Development Goals (SDGs) für eine nachhaltige Entwicklung. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es inklusive, starke Institutionen und leistungsfähige Organisationen, die Menschen fairen Zugang zum Recht ermöglichen – wie zum Beispiel die Refugee Law Clinics. „Es gibt leider kaum statistische Daten zum Rechtszugang von Geflüchteten“, merkte Quint Aly, Vorstandsmitglied des Bundesverbands kritisch an. „Was wir immerhin wissen: Von den rund 60.000 Fachanwält:innen hierzulande sind weniger als 250 spezialisierte Migrationsrechtsexpert:innen.“ Das obwohl 58 Prozent aller erledigten Hauptsacheverfahren an deutschen Verwaltungsgerichten das Migrationsrecht betreffen. Mit anderen Worten: Die Lücke zwischen Bedarf und Angebot ist immens, was auch die Kasseler Migrationsrechtsexpertin Marie Krannich bestätigte. Ausgebildet an einer Refugee Law Clinic und heute selbst Ausbilderin, erlebt die Anwältin diese Misere jeden Tag – ebenso wie die dramatischen Folgen, die die mangelnden Beratungskapazitäten haben: „Ob sie Zugang zum Recht bekommen, ist für viele Geflüchtete oder Migrant:innen eine lebenswichtige Frage.“
An den meisten deutschen Universitäten gehört das Migrationsrecht nicht zum juristischen Curriculum. Die Refugee Law Clinics sind derzeit die Instanz mit der größten Ausbildungskapazität im Bereich Migrationsrecht – einer der Gründe, warum die CMS Stiftung den Auf- und Ausbau von Refugee Law Clinics seit Jahren kontinuierlich unterstützt, sei es direkt vor Ort oder auf Bundesverbands-Ebene. Die Runde war sich einig: Nicht nur große Sozietäten, sondern auch Anwaltsverbände, die Vertretungen von Richter:innen sowie Jura-Professor:innen müssen bei diesem Thema einbezogen werden, um sich gemeinsam für eine Aufnahme des Migrationsrechts in die Studienordnung einzusetzen. „Jeder von ihnen muss Verantwortung übernehmen“, so Aly.
Intensiv diskutiert wurde in Hamburg auch über die Rolle von Großkanzleien und ihr Engagement in der Pro Bono-Beratung. Internationale Sozietäten wie CMS verfügen über große Expertise auf vielen Rechtsgebieten – aber auch in ihren Reihen mangelt es an Anwält:innen, die sich auf das Migrationsrecht spezialisiert haben. Zudem schränkt das deutsche Berufsrecht die Einsatzmöglichkeiten von Pro Bono-Beratung ein – so ist beispielsweise eine unentgeltliche Vertretung vor Gericht nicht erlaubt. „Trotzdem können sich große Anwaltskanzleien für die Rechte von Geflüchteten und Migrant:innen einsetzen – indem sie beispielsweise gemeinnützige Initiativen wie den Refugee Law Clinics mit Rechtsexpertise unterstützen“, so Canan Pour-Norouz, Projektkoordinatorin der CMS Stiftung, „so schaffen sie einen Trickle-Down-Effekt bis hin zur eigentlichen Zielgruppe.“
Auch das höchst aktuelle Thema der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) kam in Hamburg auf den CMS-Konferenztisch. Die EU-Innenminister hatten sich im Juni dieses Jahres auf eine Position geeinigt. Ziel ist es, die Reform vor der Europawahl 2024 einzuführen. Danach sollen Asylprozesse in Schnellverfahren direkt in den Aufnahmelagern an den EU-Außengrenzen verhandelt werden. Bernhard von Grünberg, Teil des Aufsichtsrats der UNO-Flüchtlingshilfe, bezeichnete die Folgen dieser Reform als „immense Herausforderung“. Alle Organisationen, die Geflüchtete und Migrant:innen unabhängig beraten, müssten dann an komplett neuen Konzepten arbeiten, die betroffenen Menschen vor Ort weiter juristisch zu unterstützen. Auch die Refugee Law Clinics.