Hilfe für die Schwächsten

Die Streetworker:innen vom Berliner Verein „Straßenkinder“ versuchen, wohnungs- und obdachlose junge Menschen in die Gesellschaft zu reintegrieren. Damit auch die Schwächsten Zugang zum Recht erhalten, hilft die CMS Stiftung im Rahmen ihres Handlungsfelds „Access to Justice“ mit der Finanzierung von Anwaltssprechstunden.


Knorrig und kahl steht der Baum an diesem klirrend kalten Dezembertag am Rande der Warschauer Straße nahe der gleichnamigen S-Bahn-Station mitten in Berlin. Es dämmert bereits. Lasse John bleibt stehen. „Hier sitzen sie gerne, manchmal bis zu zwanzig Leute, und schnorren.“ Heute allerdings nicht. „Zu kalt“, sagt der 27-Jährige und zuckt mit den Achseln. „Da sind sie unterwegs.“

 

Sie – das sind die wohnungs- und obdachlosen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen von Berlin. Der Verein „Straßenkinder“, bei dem John als Streetworker in dem nahe gelegenen Beratungsbüro arbeitet, schätzt ihre Zahl auf mehrere Hundert in der Hauptstadt. Insgesamt sollen es hierzulande laut Studie des Deutschen Jugendinstituts bis zu 37.000 obdachlose und wohnungslose junge Menschen bis zum 27. Lebensjahr sein, davon 6.500 Minderjährige. Sie kommen vom Land und aus anderen Städten an die Spree, aus unterschiedlichsten sozialen Umfeldern, „Söhne von Professoren und Töchter aus desolatem Elternhaus“. Die Gründe für ihr Reißausnehmen von zu Hause sind vielfältig. Gemein sei allen die Perspektivlosigkeit, so John. „Sie wissen nicht, wohin mit ihrem Leben.“ Hier, in der 3,7 Millionen-Menschen-Metropole, können sie in die Anonymität abtauchen. Einfach weg sein.

 

Dass einige von ihnen doch gefunden werden und aus Perspektivlosigkeit Orientierung wird, ist Lasse John und seinen Kolleg:innen zu verdanken. Seit über 20 Jahren kümmert sich der Verein um die 12- bis 27-Jährigen Klient:innen, wie man sie hier nennt. 42 Mitarbeitende an drei Standorten sind für die Organisation tätig. Das Arbeitsfeld ist über all die Jahre gewachsen; es geht auch um gesellschaftliche Teilhabe, Prävention und Integration.

 

John und fünf weitere Kolleg:innen kümmern sich jeden Tag um bis zu 60 Straßenkinder, die an den beiden Friedrichshainer Anlaufstellen an ihre Tür klopfen. Aber sie sind auch „aufsuchend“ unterwegs, zu Fuß oder mit dem Streetworkbus, schauen also immer wieder einmal an den bekannten Treffpunkten wie am Baum vorbei. Jährlich haben die Streetworker:innen so zu etwa 500 Klient:innen Kontakt.

 

In den Anlaufstellen bekommen die jungen Menschen Lebensmittel und Getränke, Kleidung und einen Schlafsack, Hygieneartikel und eine warme Dusche. Aber darauf allein kommt es nicht an. Es geht um Vertrauen. „Das ist die Basis für unsere Arbeit und damit schlussendlich für die Reintegration in die Gesellschaft, indem die Klient:innen wieder eine Wohnung und einen Job haben.“ Verlässlichkeit, Empathie, Verschwiegenheit, ein Gefühl für die Wünsche und Nöte der Klient:innen – die Arbeit verlangt den Streetworker:innen einiges ab.

 

John hat ständig bis zu 60 Klient:innen auf seiner Beratungsliste, bis zu sechs von ihnen betreut er zeitgleich intensiv. Es geht für sie um die Suche nach einem festen Wohnplatz, medizinische Versorgung, er checkt die sozialrechtlichen Ansprüche, sorgt sich um Ausbildungsplätze und Jobs, macht aber auch Sport mit ihnen, Bouldern, Fuß- und Basketball. Zudem geht John mit seinen Schützlingen zum Amt und begleitet sie zu einem Gerichtstermin – denn nicht wenige leben nicht nur vom Betteln, sondern auch von Diebstahl oder sie begehen andere Delikte.

 

Daher ist es gut, dass es die Anwaltssprechstunde gibt. Einmal im Monat kommt ein Anwalt zwei Stunden hier in das Beratungsbüro, um mit den Klient:innen zu sprechen, finanziert von der CMS Stiftung. Die rechtlichen Themen sind vielfältig. Und das ist nicht die einzige Unterstützung: Damit die Streetworker:innen auf dem aktuellsten Stand des Rechts sind, lassen sie sich etwa bei der Diakonie oder dem Paritätischen Wohlfahrtsverband fort- und weiterbilden, zum Beispiel im Aufenthalts- und Migrationsrecht, in Fragen der Jugendhilfe und zu ALG II. 2000 Euro pro Jahr hat John dafür zur Verfügung, „damit kann man schon ein Menge machen“ – zumal die Teilnehmenden das neu erworbene Wissen dann auch intern weitergeben.

 

Lasse John ist mittlerweile seit drei Jahren bei „Straßenkinder“. Nicht nur deshalb kennt er sich aus: Ab dem 15. Lebensjahr war er selbst vier Jahre lang wohnungslos. In Kassel studierte er später Sozialarbeit und Religionspädagogik. Er brennt für seine Aufgabe – und denkt über weitere Projekte nach. Eine seiner Ideen: eine ehemalige Wäscherei anmieten, in der die Klient:innen nicht nur ihre Kleidung wieder auf Vordermann bringen können, sondern auch gemeinsam andere Aufgaben und Herausforderungen angehen. Eine Hilfe zur Selbsthilfe.